Wir haben angekündigt, am 12. Februar 2022 die Reben im Patenweinberg gemeinsam mit den Rebenpaten zu schneiden. Doch wer in den letzten Tagen dort vorbeigekommen ist, wird festgestellt haben, dass die Reben bereits geschnitten sind und auch schon das abgeschnittene Holz (Ruten) aus dem Drahtrahmen entfernt wurde. Der gemeinsame Rebschnitt fällt zwar somit aus, aber die schönsten abgeschnittenen Reben werden dafür in den nächsten Jahren einen wertvollen Beitrag für den Umweltschutz im Weinbau leisten. Sie werden zur Veredelung gebraucht und aus ihnen entstehen neue umweltschonende Weinstöcke…
Insbesondere für unsere neu dazugekommenen Rebenpaten wollen wir versuchen zu erklären was damit gemeint ist. Dazu müssen wir uns aber auch auf eine kurze Reise zur Geschichte des Patricia-Wingert begeben:
2009 hat sich unser Verein entschlossen, einen Weinberg zu Ehren der 70. Pfälzischen Weinkönigin, Patricia Frank, aus Bockenheim, pflanzen zu wollen. Auf der Suche nach einer geeigneten Rebsorte wollten wir etwas innovatives in Sachen Umweltschutz wagen und haben uns in Zusammenarbeit mit der Rebschule Freytag (Neustadt/Wstr. – OT Lachen-Speyerdorf) für gänzlich neue und unbekannte Reben aus einer Versuchsreihe (ohne Name) lediglich mit der Bezeichnung VB 91-26-29, entschieden. Anfang Mai 2009 entstand dann der weltweit dritte Weinberg (1. Bockenheim, 2. Neustadt/Wstr.) dieser Rebsorte, mit dem Versuchsziel einen schmackhaften kräftigen Rotwein aus neuen mehltauresistenten Rebstöcken zu ernten und dabei den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Weinberg deutlich zu reduzieren.
Dazu sollte man wissen, dass nahezu alle klassischen und namhaften Rebsorten, wie z.B. Riesling, Grauburgunder, Müller-Thurgau, Dornfelder, Cabernet Sauvignon oder auch Merlot sehr anfällig gegen Mehltaupilze sind, die man oft auch als weißen Belag an Rosenstöcken kennt. Ohne einen regelmäßig vorbeugenden Einsatz entsprechender Pflanzenschutzmittel in den Sommermonaten wären sowohl Blätter als auch Früchte befallen und somit die Ernte (bis zu 100% Ausfall) gefährdet. Dabei macht der Mehltau keinen Unterschied zwischen konventionellem oder Bio-Anbau – alle müssen ihre Pflanzen schützen. Wilde Weinreben hingegen, die jedoch keine essbaren Trauben tragen, sind meist resistent gegen diesen Pilz. Deshalb versucht man nun schon seit Jahrzenten (z.B. VB 1991-26-29) durch natürliche Befruchtung edler Traubenblüten mit fremden (wilden) Blütenpollen, neue widerstandsfähige Kreuzungen zu erhalten – die sogenannten Piwi´s (Pilzwiderstandsfähig). Auch der private Schweizer Rebzüchter, Valentin Blattner (VB 91-26-29), hat dazu eine ganze Versuchsreihe durchgeführt (VB 91-26-29). Wie so etwas genau funktioniert, wollen wir aber beim nächsten Mal erläutern, denn das wäre hier zu umfangreich.
Um die Hintergründe zum frühzeitigen Rebschnitt im Patricia-Wingert fortzusetzen, ist nun zu ergänzen, dass sich der Anbauversuch der neuen Rebsorte in allen drei Versuchsweinbergen sehr positiv gestaltet hat und es zwischenzeitlich noch weitere Versuchsweinberge in D, F, NL und GB gibt. Die Rebschule Freytag sieht seit wenigen Jahren, auch mit unserer Unterstützung, in diesem Wein zukunftspotenzial und hat sich daher in der Zwischenzeit den Namen „Satin Noir“ auf EU-Ebene schützen lassen und die amtliche Zulassung für den Qualitätsweinanbau in Deutschland durch das Bundessortenamtes erhalten. Die langjährige Pflichtangabe auf unseren Weinetiketten „Aus Versuchsanbau“ entfällt somit für künftige Jahrgänge. Auch patentrechtlich ist „Satin Noir“ geschützt und die Reben dürfen nur von der Rebschule Freytag vermehrt (veredelt) werden. Wie die Veredlung genau funktioniert, möchten wir auch gesondert erklären, aber das wesentliche daran ist, dass dazu in diesem Jahr auch die abgeschnittenen Reben aus unserem Weinberg benötigt werden. Deshalb ist der Patenweinberg bereits geschnitten und die wertvollen Ruten von der Rebschule aus den Drähten entfernt und mitgenommen worden. Auf dem beigefügten Foto ist zu sehen, wie die Reben gebündelt und unmittelbar vor dem Abtransport mit einem blauen Schild zur eindeutigen Identifizierung gekennzeichnet wurden.
Satin Noir wurde natürlich auch in den Vorjahren bereits zur Pflanzung neuer Weinberge veredelt. Dazu reichten der Rebschule Freytag bisher immer die abgeschnittenen Ruten (Edelreis) des eigenen Weinberges in Neustadt/Wstr. Doch jüngste Änderungen in den gesetzlichen Vorgaben machen die Einsparung von Pflanzenschutzmitteln erforderlich und führen somit unweigerlich zu einer erhöhten Nachfrage nach Piwi´s und damit auch nach Satin Noir. Da die Familie Freytag den boomartigen Bedarf an Edelreis nicht aus dem eigenen Weinberg decken kann, hat Chef Volker Freytag angefragt, ob er die Ruten kurzfristig zu Vermehrungszwecken abholen kann. Der Vereinsvorstand hat dem wohlwollend zugestimmt, weil mit diesen etwa 5000 neuen Reben ein deutlicher und wegweisender Beitrag zum Umweltschutz im Weinbau geleistet werden kann. Insofern bitten wir um Verständnis, dass wir den Rebschnitt im Patricia-Wingert in diesem Jahr nicht gemeinsam durchführen konnten. Übrigens wurde vor der Versuchs-Pflanzung 2009 ein Vertrag geschlossen, in dem wir uns verpflichten, das Edelreis bei Bedarf an die Rebschule Freytag abzugeben oder nach dem Rebschnitt sofort zu vernichten (häckseln).
Erlauben Sie uns am Ende noch einen Kommentar: Die aktuelle Situation zeigt, dass wir vor über 10 Jahren mit der Entscheidung für „Satin Noir“ und somit zu einer neuen unbekannten Piwi-Sorte und hin zu mehr Umweltschutz, den richtigen Weg gegangen sind. Wir konnten nun schon seit einigen Jahren zusammen mit Ihnen unsere Erfahrung beim Rebveredler und bei anderen Winzern einbringen. Bisher ist die in Deutschland erzeugte und getrunkene Menge an Piwi-Weinen allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn wir nach und nach zu bedeutendem Umweltschutz im Weinbau kommen wollen, ist es erforderlich, dass das Angebot dazu von Seiten der Winzer steigt, aber im Gleichklang auch entsprechende Nachfragen der Weintrinker den Absatz fördern. Nur gemeinsam geht es voran! Wir werden versuchen Ihnen das Thema demnächst noch näher zu bringen und Piwi-Alternativen für „die Flasche zwischendurch“ aufzuzeigen.
Viele Grüße aus Bockenheim
Ihr Team vom Kultur- und Verkehrsverein Bockenheim e.V.